Der Polo 16V

Der Polo 16V: Volumenmodell auf Basis Polo III

Original POLO intern-Artikel Ausgabe 16, Juli 1996

„Lahm, lasch und hässlich“, so urteilten viele Polo-Fans über das Polo III – Modell bei der Präsentation. Schon einmal mußte Volkswagen diese Kritik erfahren (die sie aber auch damals ebensowenig beeindruckte), im Oktober 1990, als das Facelift des Polo II vorgestellt wurde. Nur drei Monate später lieferten die Wolfsburger das damalige Spitzenmodell G40 IIF nach. Bis heute ist er das beliebteste Modell in dem schmalen Klientel, das die engagierten Polo-Fahrer bilden.
Zugegeben, die Motorleistungen die der aktuelle Polo zur Zeit bietet, sind arg dürftig. Doch warum sollte sich auch dieses Modell nicht über den Spott und die Wünsche der sportlichen Kundschaft hinwegsetzen? Zumal sich im letzten Jahr unzählige Tuner an ihm versucht haben und nun die ein oder andere gelungene kosmetische Korrektur dem geneigten Polo-Freund anbieten.
Auch motortechnisch gesehen bieten die renommierten Tuner Doping bis zu 90 Pferdestärken an – ist das aktuelle Modell also nun der gelungene Nachfolger? Nun, noch nicht ganz. Das letzte bißchen, sozusagen das letzte Fingerschnipsen, fehlt auch der frisierten Variante.
Ärgerlich, zumal schon bei der Präsentation die Pläne für einen 16V fertig in den verstaubten Wolfsburger Schubladen lagen. Daß sich die Entscheidungsträger von Volkswagen mit diesem Motor Zeit ließen, scheint aus konzernpolitischer Sicht verständlich. Schließlich fanden die typischen Polo-Käufer das aktuelle Polo-Modell nicht „lahm, lasch und hässlich“. Über 330 000 Stück wurden alleine in 1995 ausgeliefert. Als Polo intern die Fertigung im Februar 1995 in Wolfsburg besuchte, sprach Volkswagen von 170 000 Einheiten für das Kalenderjahr 1995. Eine sukzessive Steigerung auf 1 000 Einheiten wurde damals angestrebt. Um die gewaltige Nachfrage befriedigen zu können, mußte inzwischen die Produktionskapazität auf 2 000 Stück pro Tag aufgestockt werden.

Aus einem Hubraum von nur 1,4 Litern leistet das neue Aggregat 101 PS. Daß das – ohne Zuhilfenahme von Beschleunigern wie dem bewährten G-Lader – nicht anders funktionieren kann, als über lautstarke Drehzahl-Orgien, liegt auf der Hand. Eine Riesenfreude für eingefleischte Polo-Fans. Der neue Top-Motor ist nichts anderes als das bekannte 60 PS-Triebwerk der Polo-Reihe, dem jedoch ein speziell ausgeformter Vierventil-Zylinderkopf aufgepflanscht wird. Um keine Langeweile bei den Ventilpaaren aufkommen zu lassen, wird der Kopf erstmalig in der Pologeschichte mit zwei obenliegenden Nockenwellen bestückt. Somit leistet er seine 74 Kilowatt erst bei 6 000 Umdrehungen pro Minute. Das maximale Drehmoment von 128 Newtonmetern erreicht er erst bei 4 400 U/min. In der letzten Ausgabe stellten wir das 1,6 Liter Audi-Aggregat vor, das den Polo Classic als Spitzenmotor antreibt. Zwischen beiden Aggregaten, obwohl ebenso leistungsstark, dürften subjektive Welten liegen.
Der Classic, rund zwei Zentner schwerer, erreicht mit diesem Motor eine Höchstgeschwindigkeit von 186 km/h; der Polo 16V liegt in dieser Disziplin nur rund zwei Stundenkilometern höher. Auch in der Beschleunigung von Null auf 80 bzw. von Null auf 100 km/h liegt der Classic nur um zwei Zehntel hinter der des 16V. Dennoch garantiert der 16V eine entspannte Kraftentfaltung bei überdeutlich hör- und fühlbarer Drehzahl. Und im Vergleich zum Polo G40?

Nun, der erste Polo-Mehrventiler liegt mit zwölf Pferdestärken hinter dem G-Lader-Motor, dessen bekannte Serienstreuung ihm mehrfach Leistung weit über der Serienstärke von 113 PS bescherten. Deutlich wird diese Leistungsminderung, selbstverständlich ohne Beachtung der Zunahme des Leergewichtes von fast 200 Kilogramm, in der Beschleunigung. So spurtet der Polo G40 in 5,8 Sekunden von Null auf 80 km/h. Über eineinhalb Sekunden mehr benötigt der 16V für diesen Spurt. Fast zwei Sekunden schneller ist der G40 bei der

Beschleunigung auf 100 km/h. Und mit einer Höchstgeschwindigkeit von 188 km/h unterliegt der Mehrventiler dem G40 um rund acht Stundenkilometern, die – unter Vernachlässigung der Beschleunigung – bei Autobahnfahrten nicht großartig ins opulente Gewicht fallen. Anpreisen dürfte Volkswagen seinen „sportlichen“ Polo vor allem wegen seinem günstigen Verbrauchs. Dieser liegt – zugegeben – unter dem des Polo G40. Bei konstant 90 km/h mit 5,3 Litern 0,3 Litern unter dem des G40. Bei 100 km/h ein halber Liter unter dem des geladenen Freundes. Doch wahre Freude scheint da nicht aufzukommen. Die Leistungseinbuße bringt Spritvorteile, doch nicht in dem Maße, wie man sie sich erhofft. Deutlichere Minderung im Spirtverbrauch verspricht der 16V gegenüber dem Classic – zwischen einen halben Liter und einem ganzen Liter in den relevanten Disziplinen – doch auch hier darf man das Leergewicht nicht außer Acht lassen. Wie wird es also weitergehen, in unsere Polo-Chronologie? Nicht alles ist schnell, was sich 16V nennt.

Konzernspezifisch gesehen ist der 16V für Volkswagen die bessere Alternative. Zu aufwenig und teuer war die Herstellung des G-Laders, zu gering seine geforderten Fertigungstoleranzen. Auf längere Sicht hingegen könnte sich der 16V jedoch durch seinen geringen Hubraum genauso anfällig wie der G40 erweisen. Dann stimmt bei beiden Fahrzeugen der Gedanke, daß ambitionierte Polo-Fahrer mit Sinn für ausreichende Leistungsreserven auch über genügend finanzielle Mittel verfügen, ihren Liebling regelmäßig in den werksgebundenen Werkstätten warten zu lassen. War der 16V für das sportliche Klientell eine wirkliche Alternative? Wohl eher nicht; wer jedoch einen G40 besaß, diesen nicht mehr Vollkasko versichert und somit eine überteuerte finanzielle Bürde von sich genommen hat, konnte warten. Warten auf das, was allerdings erst im August 1998 angeboten wurde: Der Polo GTI. MB#