Polo I: 10.000 Kilometer in 10 Tagen

Ein Autotest auf ganz neue Weise: 10.000 Kilometer in 10 Tagen – Mit dem Polo kreuz und quer durch Europa

Schon zu Zeiten des Polo I gab es Automobiltest, die einem Auto alles abverlangten. Den inzwischen als Oldtimer anerkannten Polo I widerfuhr eben ein solcher Test, den wir nicht vorenthalten wollen.

Automobile, die neu auf den Markt kommen, stoßen fast immer auf reges Interesse, und die Zeitschriften und Zeitungen, die die ersten Testberichte veröffentlichen können im allgemeinen mit großer Aufmerksamkeit des Publikums rechnen.

Viele Testberichte dieser Art geben jedoch nur kurzfristige Eindrücke des Fahrers wieder, ergänzt mit eigenen Messungen zur Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung, zum Verbrauch – sie sagen nichts oder nur wenig über die Bewährung des neuen Wagens im Alltag und über eine lange Distanz.

Deshalb muß der Härtetest, den Ernst Bauer, Redakteur bei der Fachzeitschrift „Das Lenkrad“, ausheckte und zusammen mit dem Fotografen Hans Peter Feddersen durchführte, gelobt und besonders beachtet werden. In zehn Tagen fuhren die beiden durch zehn Länder Europas, und sie hatten sich vorgenommen, eine weitere Zehn ins Spiel zu bringen: Der Verbrauch sollte unter 10 Liter/ 100 km bleiben – das war allerdings das Leichteste bei dem Unternehmen.

Das Auto, das diese Leistung erbringen sollte: ein VW Polo L. Tausend Kilometer an jedem Fahrtag – das ist ein Unterfangen, das nicht nur das Auto testet, sondern auch die Fahrer.

Jenseits der reinen Testergebnisse das Auto betreffend, ergaben sich neue Eindrucke von Land und Leuten, die den Leser daran erinnern, daß das Autofahen letztlich erst schon wird durch die Welt um uns.

 

1. Etappe
Stuttgart-Norsminde: 1140 km.
Fahrschnitt: 100,00 km/h
Reiseschnitt mit 155 min Fährzeiten: 75,16 km/h

Senkrechtstart nach Norden.

So macht man sich keine Freunde. Morgens zwischen sechs und sieben einen übernächtigten Tankwart ums Volltanken bitten und hinterher noch hoffen, daß er auf 8,06 DM pfenniggenau herausgeben kann. Noch ehe er an den Aufklebeschildern entziffert, wohin unsere Reise gehen soll, schnappt die Zapfpistole zu. 9,61 Liter, genug, um das Stehkragen-Eichmaß zu Beginn eines Polo-Abenteuers zu erreichen. 10000 Kilometer deren 10 europaische Länder in 10 Tagen, oder zumindest in zehn Etappen, und das alles mit weniger als 10 Litern auf 100 Kilometer – ja haben wir denn noch alle fünf Sinne beisammen?

Das, was der durchschnittliche Fahrer so im Laufe eines Jahres abspult, das wollen wir jetzt am Stück machen. Statt morgens und abends runde 15 Kilometer zur Arbeit und wieder zurück zu fahren und die restliche, zweieinhalbtausend in Urlaub und am Wochenende zu sammeln, wollen wir die Jahreskilometerleistung des Bundesbürgers im Zehntagerennen absolvieren. Aber nicht etwa mit regelmäßigem Fahrerwechsel auf einer Versuchsbahn oder am Hockenheimring, sondern dort, wo das Autoleben in Wirklichkeit stattfindet: Auf Autobahnen und Landstraßen und in verwinkelten Ortsurchfahrten, in vollgestopften Großstädten und auch mal dort, wo gerade ein Erdrutsch die Straße einfach weggerissen hat.
Unser Ziel: Von Süden Deutschlands in den Norden. Über Dänemark, die Niederlanden, Belgien, Frankreich, Italien, Jugoslawien und Bulgarien in die Türkei und wieder zurück über Ungarn und Österreich nach Stuttgart.

Unser Ehrgeiz, Fahren, fahren, fahren, wo immer es angängig ist mit vollem Dampf, aber immer schön anständig, damit’s hinterher keinen Ärger gibt.

Unsere Ausrüstung – wir rechnen mit Schnee, und winterlichen Umständen – füllt zwei große Koffer, drei Reisetaschen, einen Aktenkoffer und diverse Fototaschen. Dazu kommen zwei 20 Liter-Kanister, ein weiteres Reserverad ein paar kleine Ersatzteile, einen Feuerlöscher, Snow-Grips und Schneeketten, Abschleppseil und ein Starthilfekabel, ein Werkzeugkoffer und eine Abschleppstange, ein Tonbandgerät und eine Fußluftpumpe.

An alles haben wir gedacht – nur den zweiten Autoschlüssel anzufordern, das haben wir vergessen. Vom Anfang an verfolgt uns der Alptraum, wir steckten mitten in einem fremden Land und verlören den Zündschlüssel – nicht auszudenken..

Unser großtes Packproblem. Wie wird Fotograf Hans Peter Feddersen mit seinen 192 cm in 134 cm hohen Polo zurechtkommen? Wie verstraut man einen Menschen solcher Länge und eine Riesenmenge Gepack obendrein? Erste Erkenntnis: Wir schalffen es nicht, das zulässige Gesamtgewicht von 1100 kg zu erreichen oder die Nutzlast von 415 kg zu überschreiten. Aber wir brauchen den Platz im Kofferraum und auf dem Rücksitz. Wir müssen großzügig packen, denn wenn wir mal unterwegs etwas suchen, haben wir keine Zeit, um lange das Unterste nach oben zu kehren.

Meister Feddersen kam auch unter, überraschenderweise. Am Ende der Tour bestätigte er anerkennend, daß er weder als Beifahrer noch hinterm Lenkrad Sitzprobleme hatte. Auch seine „Länge über alles“ war nachmeßbar die gleiche geblieben.

Nun also waren wir aufgebrochen im Polo mit dem Ziel, den lieben langen Tag lang nichts anderes zu tun als nur aufs Gas zu treten.

Da gibt’s keine 40-Stunden-Woche, sagten wir uns, und weil wir zu zweit sind auch keinen Achtstundentag. Schließlich muß der Kumpel nach der Maloche ja auch noch mit seinem Auto heimkutschieren. Also wird unser Test hart sein, härter als der Alltag für viele.

Ein Dauertest üblicher Art sollte es auch nicht sein, denn daß der Polo 10000 Kilometer an einem Stück schafft, daran war wohl nicht zu zweifeln. Also auch kein Autotest, sondern eher ein Härtetest. Denn es interessierte uns vor allem, wie die Menschen in diesem Auto ein solches Abenteuer überstehen.

Also, diesmal kein Urwald im Alleingang und keine Erdteildurchquerung. Eher der Versuch, die Formel zu finden, ob man sich solch ein Auto zumuten kann.

Vorsichtig, auch gegenüber sich selbst, wie die Schwaben es gewohnt sind, vertrauten wir auch nicht nur auf unsere eigenen Notizen Der Kienzle-Fahrtenschreiber sollte uns helfen, jede Bewegung des Polo dokumentarisch festzuhalten Und damit’s dem Beifahrer nicht langweilig wird, macht er die Buchführung.

Am Autobahndreieck Kirchheim, nach 303 Kilometern Fahrt wird erstmals nachgetankt und gerechnet: 26,7 Liter – das sind 8,9 Liter bei vollem Rohr auf der Autobahn.

Ich bin beruhigt: Wir werden es schwer haben, auf dieser Reise irgendwo mal mehr als 10 Liter zu verbrauchen, ein komischerweise im Volksempfinden noch immer verwurzelter „Kritischer Wert“. Eher wird das Gegenteil eintreten. Wenn’s nicht mehr stundenlang Vollgas gibt, wird der Verbrauch sogar deutlich sinken.

Über Hannover und Lübeck zielen wir nach Puttgarden. Um 15.30 Uhr gönnen wir uns, erstmals seit dem frühen Morgen um 6.40 Uhr, eine gut einstündige Pause. Derweil schippert uns die Fähre mit einer Bundesbahnfahrkarte hinüber auf die Insel Lolland. Es ist erst 16.35 Uhr und schon dunkel, als wir über die E 4 in Richtung Sjaelland-Insel starten.

Den Weg dirigiert uns der Fährenfahrplan, denn wir wollen ja noch an diesem Abend wieder auf der mit der Bundesrepublik direkt verbundenen Halbinsel Jutland sein – und dazwischen liegen anderthalb Fährstunden zwischen Halsskov und Nyborg auf der Insel Fyn.

Die Dänen sind korrekte Fahrer und ihre Wegweiser, insbesondere die auf den internationalen Straßen, signalisieren deutlich, wo s lang geht.

Kurz vor 20 Uhr kommt nochmals eine Zweistunden-Etappe über Odense, vorbei an Fredericia, hinüber nach Veilje und wieder an die jütländische Ostküste nach Norsminde, kurz vor Aarhus.

Dort kenne ich ein altes Wirtshaus und vor allem den Wirt. Nach freundlicher Begrüßung macht er uns noch Schollenfilets, und wir bezahlen, pro Mann, für das Abendessen, ein Bier und einen Aalborg-Aquava 37,- DM ein schließlich Übernachtung.

Zum Ausklang des ersten Tages wird gerechnet. Bis gegen 15 Uhr, als wir die Puttgardenfähre erreichten, zuckten die Spitzen auf der Tachographenscheibe ständig zwischen 130 und 140 km/h.

Auf den limilierten dänischen Straßen und wegen der insgesamt 155 Minuten Fährzeit sackte danach der Reiseschmitt zusammen: Er liegt mit ungefähr 75 km/h jedoch noch erstaunlich hoch: der reine Fahrschnitt an diesem ersten Tag mit genau 100 km/h läßt uns hoffen.
2.Etappe
Norsminde-Delmenhorst: 1018 km
Fahrschnitt 81,12 km/h
Reiseschnitt. 64,29 km/h

Gleichmäßigkeitsprüfung in Dänemark.

Morgens um sechs ist in den meisten Hotes die Welt noch nicht in Ordnung Wir starten ohne Frühstück in einem vereisten Polo, es ist noch stockdunkel. Nach 8 Uhr drücken bucklige Bauernhäuser und Pferdekoppeln aus talfüllenden Nebelbänken durch. Peter fotografiert. Zwischen Nebel und Sonne hat er nur zehn Minuten Zeit, es präsentiert sich ein Stückchen Prospekt-Jütland.

Wir klappern die Ostkuste ab und hoffen auf eine Cafeteria, aber wir binden nur Marktlücken. Erst kurz vor Randers an der E 10 kommen wir zum dänischen Frühstück. Es soll uns Kraft gaben tut einen anstrengenden Tag.

Vor Mittag woflen wir am rundlichsten Punkt Danemarks sein, in Skagen-Grenen. Weit und breit nichts als Wald. Und lange, schnurgerade und schöne Straßen. Hier oben hört nicht nur die E 10 auf – auch die Welt geht hier zu Ende. Man sieht kaum mehr ein Auto in dieser trüben Jahreszeit. Wer hierher kommt, der wohnt hier. Wenn die Touristenströme von und nach Schweden versiegt sind, träumt dieser Zipfel Jütlands vor sich hin.

Ob sie einkaufen der die Kinder zur Schule bringen, Post oder Brot ausliefern – die Dänen nehmen in Skagen das Fahrrad. Autofahrer, kommst Du an diesen Ort, hüte Dich und sei vorsichtig. Nachts klammern die radelnden Dänen kleine Figuren aus reflektierendem „Scotchlite“ an ihre Kleider. Acuh Füßgänger schützen sich auf diese Weise.

Nirgendwo in Dänemark müssen wir eine rüde Überholszene beobachten, nie werden wir durch einen entgegenkommenden Wagen fernlichtgeblendet. Nur ein einziger Wagen überholt uns – er hat ein deutsches Kennzeichen. Tempo 90 reicht den Dänen, uns dagegen brennt es auf den Nägeln.

Wir wollen um 15 Uhr den Polo neben die Kinderfahrschul-Autos im Legoland stellen. Klare und rechtzeitig angekündigte Überholverbotszonen zwingen immer wieder auf die Bremse. Wir kommen eine Stunde zu spat – dämmert bereits. Peter muß lange belichten – vielleicht gibt das Foto auf der nächsten Seite die eigenartige Lichtstimmung wieder.

Hinter Flensburg bietet uns die Autobahn endlich wieder Gelegenheit, die Höchstgeschwindigkeit von 132 km/h über viele Kilometer zu halten Aber dann bremst uns dichter Nebel im Raum Hamburg.

Es geht weite, Richtung Bremen. Immer wieder fallen uns dämsche Lastzüge auf. Bis zu zehn Rücklichter sichern die hintere Front der Skandinavier ab, kein PKW kann, dicht hinter ihnen fahrend, dem nachfolgenden Verkehr die Vor-Sicht auf die Bremslichter verdecken.

Bei Delmenhorst endet die zweite Etappe in einem Motel Diebisches Geliechter fürchtet gleißendes Licht: Wir parken den vollgepfropften Polo ungeniert direkt vor dem Eingang und setzen uns mit ein paar Landwirten an den Gasthaustisch. Von ihnen erfahren wir, daß man einen so anstrengenden Tag mit Korn und Pils beschließen soll.

 

3. Etappe
Delmenhonst – Assevillers: 756 km.
Fahrschnitt: 72,46 km/h
Reiseschnitt: 53,36 km/h

Kein Beneluxus – harte Arbeit.

7.50 Uhr: Der erste Berufsverkehr ist schon abgeebbt. Wir suchen mit dem noch nicht ganz warm gelaufenen Polo die Autobahn in Richtung Holland.

Bei Nieuwe Schans, wie die holländische Grenzstation heißt, fallen wir einem sehr strengen Zollner in die Hand. In nahezu einwandfreiem Deutsch fragt er uns höflich, aber bestimmt, ob wir an einem Autorennen teilnehmen. Ich erkläre ihm den Sinn der Fahrt. Und weshalb wir dann Ersatzteile mitführten, etwa einen weiten Zahnriemen? Und wieviel Benzin wir mitschleppten? Dann läßt er den Kofferraum ausräumen. Stück für Stück. 30 Minuten dauert die Kontrolle. Wir hätten schon gute 60 Kilometer weiter sein können.

So wie der Tag begann, so trostlos verläuft er auch. Umleitungen, Staus, Unfälle. Und überall mehr Straßen als Wegweiser. Zugbrücken, deren Holzbeläge verdammt rutschig sein können. Autobahn-Bruchstücke, die plötzlich im Gegenverkehr ohne Verwarnung enden.

Verwirrend auch die Wege, die parallel zu der Straße laufen, auf der wir gerade fahren. Immer dann, wenn eine Brücke kommt, sind die Fahrbahnen wieder zusammengewoben – aber nur eine gilt unserer Richtung. Der Gegenverkehr ist schneller da, als man denkt.

Einziger Lichtblick ist die Mittagszeit in Edam. Doch wir kennen es uns nicht erlauben, in einem der reizvollen Restaurants die notwendige Pause zu machen. Eine Käsehandlung kommt uns vor die Kamera. Und weil wir die Leute dort zu lange aufgehalten haben, schleppen wir ihnen hinterher kiloweise die Leibe auf ihren Kleinlaster Ein stetiger Kampf zwischen dem Fotografen, der Land und Leute sucht, und dem Tester der’s packen und wissen will, bestimmt unsere Bord-Gespräche. Und Peter Feddersen wird ist zufriedener, wenn er seine Motive hat. „Notfalls fahren wir halt die Nacht durch, Hauptsache, ich kann morgen früh wieder fotografieren“ ist seine Devise. Mein Ziel sind 1000 Kilometer am Tag – und heute geht´s das erste Mal schief.

Um 15.45 Uhr haben wir immer noch nichts im Magen. Jetzt fehlt bloß noch ein Stau: Eine Stunde lang stehen wir eingekeilt zwischen holländischen Lastern. Dann regnet es, so daß wir nur noch knappe 100 fahren können. Der Autobahnschnitt pendelt sich auf etwa 80 km/h ein. Von der holländisch/belgischen Grenze merken wir nichts – die Autobahn ist hier dreispurig, oft sogar vierspurig. Große gelbe Leuchten verbreiten angenehmes Licht. Ein 30 Meter breiter Mittelstreifen trennt die Fahrbahnen voneinander. Keine Leitplanken. Wer hier ins Schleudern käme, der müßte schon einen Riesenslalom fahren, um nicht an einem Lampenmast zu landen.

Viele Lastzüge, vor allem Tankwagen, drücken sich am Foto vorbei. Ihre Wassersogfontänen machen dem zweistufigen Wischer zu schaffen.

Ab und zu, wenn der Tacho etwa 110 zeigt, ruckelt´s an der Vorderachse: Vorzeichen des Aquaplaning. Die Frontscheibe beschlägt, so groß ist der Wasseranteil in der Luft.

In einem belgischen Autobahnkiosk retten uns zwei Tassen Kaffee über die Runden. 1,35 DM kostet diese dampfende Köstlichkeit. Das Kneiper-Paar sitzt in der Küche, ein deutscher Schafäferhund spaziert zwischen dem Pommes-frites-Aggregat und dem Kühlschrank hin und her.

Jetzt sollten wir Feierabend machen können, dann wir sind mühe. Das Thermometer zeigt ungefähr 5 Grad plus. Ein immer wiederkehrender Schmierfilm verzerrt den langweiligen Ausguck in nachtschwarzen Regen. Mehr als 20 Papiertücher brauche ich, um Wischer und Frontscheibe abzureiben. Da hilft keine Chemie, nur Mechanik.

Auch die Grenze nach Frankreich leidet unter der Feuchtigkeit. Die Beamten winken unter ihren Pelerinen hervor, von ihren Schildmützen tropft’s in die Pässe Keine Bedenken, keine Fragen – bienvenue en France.

1 Franc, automatisch geschluckt von einem gierigen Münzen-Maul, gibt grünes Licht ihr die Autobahn.
So schwarz war die Nacht schon lange nicht mehr. Immer wieder reibe ich die runden Scheinwerfer des Polosauber, jetzt sollte man Halogenlicht haben.

Abwechslung bringt wieder mal eine Autobahnkasse, Und direkt dahinter eine Polizeikette. Mit einer Taschenlampe leuchtet ein Bilderbuch-Flic in unser Auto. Ein anderer läuft mit unseren Pässen durch den Regen.

Der Polizist läßst sich alle Kameras zeigen. Ehrfurchtsvoll zählt er ein halbes Dutzend Stangen mit Kleinbildfilmen. Dann muß ich einen Lederbeutel auspacken: nur ein Stativ. Zwei strenge Kontrollen an einem Tag, das ist uns jahrelang nicht passiert.

Um 22.20 Uhr wechsle ich die Tachographenscheibe aus. Wenn mich noch einer fragt, warum ich gegen ein Tempolimit auf Autobahnen hin, dann halte ich ihm diese unter die Nase. Vier Stunden lang nur zwischen 80 und 100 fahren zu konnen – ermüdender, anstrengender kann Autofahren kaum sein.

Der Ober nur Hotelrestaurant spricht seine späten Gäste in ihren uniformen, schwarzen Anoraks auf englisch an – „Are you drivers“?

„Oui, monsier“. Ungerührt und immer noch davon überzeugt, wir seien Amerikaner auf dem Weg nach Paris, verweist er uns des Lokals „Please go to the self-service“ – hier im Restaurant sei bald „terminee“ – also Feierabend

Es scheint mir ein ziemlich verfremdetes Frankreich zu sein, das sich da nachts auftut: Die „Köchin“ serviert uns pfannkuchendicke Fleischstücke, die auf beiden Seiten die Spuren eines Brenneisens tragen – amerikanisches Grillen. Dafür kassiert sie 12,50 Francs.

Ein tiefer Schlaf in einem hervorragenden Hotelbett versöhnt und hilft uns über die erste Krise hinweg.

 

4. Etappe
Assevillers-Nantes: 776 km.
Fahrschnitt: 57,98 km/h
Reiseschnitt: 46,56 km/h

Westside-Story

Die Hoffnung und die Strategie, auf den berühmten „freien französischen Landstraßen“ könnten wir das herienfahren, was wir vorher verloren oder verbummelten, erweist sich schon zu Beginn der 4 Etappe als großer Irrtum. Denn wer zu Hause über Michelinikarten brütet, denkt im Traum nicht daran, daß eine lächerliche Panne, oder eine unfotogene Irrfahrt die ganze Reiseroute auf den Kopf stellen kann. Erklärtes Ziel ist heute die brandneue Hängebrücke über die Loire zwischen St. Nazaire und St. Brevin-les-Pins am westlichsten Punkt unserer Reise. Und weil’s so schön ist und damit man’s mal im Kasten hat: auch den Pont de Tancerville über Seine in der Nähe von Le Havre Aber was passiert uns? Auf einer kleinen Nebenstraße blockiert ein in den Graben gerutschter Lastzug den Verkehr. Ehe ich mich zur Umkehr entschließen kann, sind wir eingekeilt. Ohne Verkehrswarnfunk und ohne großes Tatü-Tata schaffen die Franzosen mit mein alten Kranwagen und einer gewaltigen Seilwinde wieder eine schmale Spur. Doch uns fehlt eine halbe Stunde.

Und dann steht plötzlich völlig unmotiviert rechts neben der Nationalstraße eine Freiheitsstatue. Jetzt haben wir endlich mal was anderes: Ganz groß den Polo im Vordergrund – ja, noch ein bischen weiter zurück. Klick – erst denken, dann parken. Blaßgrünes, frisch eingesätes Gras trübte meinen Blick. Im butterweichen Lehm versinkt der Polo bis an die Achsen. Durchdrehende Räder rächen sich am Fotografen. Vom Kopf bis zu den Ziehen wird er vollgespritzt mit kleinen Lehmklumpchen, sogar die Kameras kriegen ihr Fett ab.

Trickreich, wie wr gepackt haben, mußte man das Schleppseil in der Mulde des zugestauten Reserverades suchen. Gott sei Dank liegen die Snow-Grips und die Gummistiefel obenauf. Barfuß und mit viel Gefühl gelingt es dann, den Wagen langsam aufzuschaukeln und herauszuwippen. Aber die Kupplung nimmt diese Prozedur übel, verweigert die Mithilfe beim Schaltvorgang und klebt einfach fest. In einer großen Pfütze können wir provisorisch Schuhe und Hände waschen. Wir beschließeen die Statue St. Polonius zu taufen. Wie ein Anfänger hopple ich an, den ersten Gang im Stillstand reingedrückt. Da sich der zweite nicht schalten läßt, krieche ich unters Auto: Das Schaltgestänge liegt fre, ist nicht verbogen. Alle Gänge lassen sich bei abgestelltem Motor einlegen.

Ein bitterer Entschluß: Ab in die nächste VW Werkstatt, am besten nach Le Havre. Das bedeutet: Wenden auf der stark befahrenen Nationalstraße – und das ohne Kupplung. Der kleine Polo-Wendekreis hilft uns. Jetzt bloß nicht abmurksen und die Nerven behalten. Es klappt. Ein schneller Citroen bremst sicherheitshalber kurz ab, hupt und rauscht vorbei.

Nach etwa drei Kilometern im zweiten Gang verlasse ich mich schließlich auf mein Gefühl im rechten Arm und vertraue auf die Kraft der Synchronringe: Da tut’s plötzlich einen Schlag und die Kupplung hat sich wieder gelöst. 30 Kilometer später haben wir die Angst, eine solche Panne werde noch mal passieren, bereits vollkommen verdrängt.

Wir verlieren wertvolle anderthalb Stunden in Le Havre, finden kein Bild. Also wieder 6,50 Fancs Brückenzoll auf dem „Pont de Tancerville“ und hinunter nach Honfleur, in ein kleines Fischestätchen an der Küste in der Nahe des Seebads Deauville, Alte, hohe Häuser, ein pittoresker Hafen und gemütlich schwätzende Fischer – aber kein gutes Licht.

Ja, man sollte Zeit haben und eine solche Reise nur im Frühsommer machen Mitten im November brauchen wir länger als die Hälfte der Fahrzeit unser Licht. Und nach 15.30 Uhr ist es schon in der Sprache des Fotografen 1/25 dunkel.Für Peter Feddersen heißt es jetzt „Klappe zu“. Und für mich: Voll aufs Gas, damit die Planung eingehalten wenden kann.

Unser ehemals ralleygelber Polo gleicht einer olivgrauen Feldmaus, die von der Zeitkatze gejagt wird. Ich muß nur aufpassen, daß die Falle nicht zuschnappt. Und Fallen gibt´s hier überall. Ungesicherte Kurven, gähnendes Schweigen im Wagen, ein nur schwacher deutscher Sender im Radio und noch immer weit mehr als 200 Kilometer bis zum Etappenziel. Langeweile auf vier Rädern.

Wir kurven durch Calvados und Ille-et-Vilaine und finden an der D 178 das kleine Städtchen Chatteaulbriant. In der „Auberge Bretonne“ gönnen wir uns einen großen Schmaus: Als Vorspeise schmackhafte Schalentiere, als Hauptgericht Chateaubriand (diesmal mit „d“ geschrieben in Erinnerung an den französischen Romantiker) und den Wein, den der Patron uns empfiehlt.

Um dieses Lokal finden zu können, muß man mit den Menschen reden. Denn wir hatten nicht vermutet, daß sich in der üblichen Dorfkneipe, in der würfelnde und rauchende Franzosen ihnen Wein trinken, ein Feinschmeckerrestaurant versteckt. Der Wirt starrte uns ungläubig an, als wir zielsicher das Lokal durchquerten und die Tür zum Nebenzimmer öffneten. Wir hatten den heißen Tip von einem Polizisten, dem man auch in der strengen, jedoch Falten werfenden Uniform ansah, daß er ganz genau wußte, wo man in dieser Gegend so essen kann, daß einem hinter die Uniform nicht mehr paßt…

Die 3560 Meter lange und 68 Meter hohe Hängebrücke über die Loire scheint den Franzosen hier im äußersten Westen als Touristenattraktion nicht mehr angezeigt zu sein. Wie das heute so üblich ist, wollen wütende Protestierer sich den Verkehr vom Halse halten und überschmierten deshalb die Wegzeiger.

In St. Nazaire empfiehlt uns ein Tankwart, die Route abzuändern. Anstatt über Bordeaux sollten wir lieber zurück nach Paris fahren und von dort die Autoroute in den Süden nehmen. Von hier aus in einem Tag nach Nizza? Das sei einfach imposibble. Warum wir ausgerechnet über die schlechtesten Straßen Frankreichs fahren wollten und dann auch noch mehr als 1200 Kilometer und das an einem Stück? Er wohne in der Gegend von Montepellier und besuche, wei´s so beschwerlich sei, seine Familie nur zweimal im Jahr.

Wer weiß. was den guten Mann sonst noch alles daran hindert, zu Hause nach dem Rechten zu sehen. Entweder hat er keinen Polo oder eine Freundin – auf jeden Fall wir halten am Ziel fest und überlegen uns sogar, ob wir mal eine Nachtschicht einlegen und dafür am anderen Tag im sonnigen Nazza ausruhen.

Knapp 50 Kilometer später wieder eine nächtliche Verkehrskontrolle. Der Polizist weiß auch nicht, wo das Hotel ist, das wir suchen. Zehn Minuten nach Mitternacht fallen wir völlig kaputt in die Betten. Wir sind jetzt rund 62 Stunden gefahren und haben 3690 Kilometer hinter uns. Der Reiseschnitt wird immer geringer, heute lag er bei 46 km/h. Etwa zehn Minuten von jeder Stunde, die wir im Auto sitzen, gehen durch Fotografieren oder sonstige Zwangspausen wie Essen, Grenzen, Hindernisse flöten. Immerhin: Der reine Fahrschnitt liegt bei rund 60 km/h. Und das heißt täglich sechzehneinhalb Stunden fahren, damit wir auf die rund 1000 Kilometer kommen. Der Swimming-pool vor dem Hotel dampft, man muß mit Frost und vielleicht sogar Glatteis rechnen.
5. Etappe
Nantes-Nizza: 1254 km.
Fahrschnitt: 69,51 km/h
Reiseschnitt: 61,57 km/h

Auf den Spuren der Routiers

Heute haben wir zum erstenmal einen deutlichen Vorsprung. Die Natur ist hier zwei Wochen zurück. Auf dem Weg nach Bordeaux sind die Bäume noch dicht belaubt und nur leicht eingefärbt. Unsere Aufmerksamkeit gilt jedoch mehr einem technischen Unikum: Die Waschanlagen in diesem Teil Frankreichs arbeiten ohne Halle, – selten kann man ein Auto so schön fotografieren, wenn es gebürstet wird. Doch, wie verhext, fast jede Station hat ein Schild „en panne“.

Gegen 14. 30 Uhr übermannt uns der Hunger. Eine der typischen Fernfahrerkneipen „Les Routiers“ liegt gunstig, Wortlos stellt die Bedienung – da fällt mir ein, daß Brigitte Bardot vor vielen Jahren einmal diese Rolle spielte – eine Literflasche Rotwein auf den Tisch und schnippt den Plastikverschluß mit dem Daumennage1 auf den Boden. Ein paar Lastzugfahrer sitzen noch über dem Käse. Alle Plätze sind leergefuttert. Die Bedienung wischt Tische ab und stuhlt auf. Zwischendurch serviert sie uns Brot und kaltes Fleisch. Die schwarzhaarige Chefin, die am Eingang des Lokals die Theke hütet, mustert mich mitleidig und fragt. „Woher kommen Sie denn?“ Und dann bedauert sie, daß wir ausm blitzsaubern Schwabenland in soner Fernfahrerkneipe gelandet sind“. Ich höre die traurige Geschichte ihres turbulenten Lebens. Früher, als ihr zweiter Mann noch lebte, war das hier eine Goldgrube. Vor ein paar Monaten ist er gestorben und jetzt hat sie keine Freude mehr an der Wirtschaft. Im Krieg – gerade Witwe geworden – ging sie mit ihm, der als Prisonnier bei ihrem Vater in Leipzig eingesetzt war, zurück nach Perpignan. Jetzt will sie das Lokal verkaufen. Von morgens sechs bis gegen Mitternacht wollen die Routiers hier essen und trinken. Zusammen mit ihrem Sohn betreibt sie das Lokal und der würde lieber als Augestellter in einem Restaurant arbeiten. Ich fühle, wie es ihr leid tut, daß zwei Landsleute in diesem Lokal nicht gut bedient werden konnten. Sie läd uns ein, das nächste Mal in ihrer Wohnung zu essen. Wir sollten nur vorher anrufen.

Von Bordeaux sehe, wir nichts. Wir meiden die feierabendschwangere Metropole am Atlantik und fahren der Garonne entlang in Richtung Marseille. Die Türme der mächtigen Festung in Carcassonne tauchen im Abendrot unter, als wir in Richtung Narbonne rauschen, um auf der neuen Autobahn wieder in nördliche Gegenden vorzustoßen. Montepellier – – mit kurzem Schlafstop – und Nimes sind für uns nicht mehr als Autobahnausfahrten In Avignon die berühmte Brücke und vor allem einmal eine andere Aufnahmeperspektive zu finden ist die nächste Aufgabe. Dann hilft uns die ins Rhone-Delta führende Autobahn wieder, einen brauchbaren Schnitt zu bekommen. Über Aix-en-Provence, Frejus und Cannes kommen wir nach Nizza.

Am Ende der fünften Etappe eine trostlose Zwischenbilanz: Weniger als 200 Kilometer trennen uns an der Halfte des Streckensolls. Der Benzinverbrauch liegt nach wie vor bei nur rund 8,5 Litern. Und am anderen Tag lockt eine lange Autobahn in den Süden Italiens. Der Fahrschnitt liegt bei knapp 70 km/h, der Reiseschnitt bei guten 60. So viel schneller konnte man mit einem größeren Wagen auch nicht fahren. In der Halbzeit geht der Polo als eindeutiger Sieger vom Platz.

 

6. Etappe
Nizza-Bari: 1340 km.
Fahrschnitt 69,01 km/h
Reiseschnitt: 54,32 km/h

Der Zapfsäulen-Trick

Wir müssen zwei Tage für diese sechste Etappe ansetzen, denn nichts wäre einfacher, als nonstop von Ventimiglia bis nach Bari auf der italienischen Autostrada del Soll in den Süden zu zischen. Aber dies wollen wir nicht, weil man weder am Schiefen Turm von Pisa noch an Florenz vorbeikommt. Weil Assisi genauso eine Fotoraportage wert ist wie überhaupt die Provinz Umbrien. Und weil jeder auf der Autobahn den Bleifuß durchtreten kann. Also ändem wir wieder mal die Reiseroute und wollen quer durch die Regionen Toscana und Umbrien in die Abruzzen und an die Adria fahren.

Die Autobahn zwischen Nizza und Genua ist eine Meisterleistung italienischen Straßenbaus: Tunnel folgt auf Tunnel. Allerdings stellt diese Strecke besondere Anspruche an den Fahrer.

 

Bei Ventimiglia müssen wir tanken. Hoppla, der Polo braucht plötzlich statt 8 mehr als 11 Liter auf 100 Kilometer. Beim Nachrechnen, das, um Zeit zu sparen, stets während der Weiterfahrt gemacht wird, und beim Verbuchen der Tankquittung merken wir, daß uns der Tankwart mit einem Trick übers Ohr gehauen hat. Als er mitten im Tankvorgang die Zapfsäulen wechselte und dies mit einem bedauernden „Fini“ begründete, ahnten wir nichts. Heute ist uns klar, daß er 10-12 Liter zu wenig eingefüllt hat. Die zweite „Überraschung“ wird in einem kleinen Restaurant in der Nähe des Schiefen Turms in Pisa notiert. Obwohl wir vom blanken Tisch aßen, berechnete uns die Bedienung zwei „copertos“ – Gedecke, die aus nichts anderem als Pizza Tellern und Blechbesteck bestanden. Die dritte Ungereimtheit schließlich mißlang dem Deck-Stewart auf der Fähre nach Jugoslawien. Er wollte uns, als wir an der Bar tranken, anstatt mit hartem Geld mit Zigaretten herausgeben.

Florenz am sparen Nachmittag. Hier unterbrechen wir die Etappe – zumal weiterfahren überhaupt nichts genutzt hatte, weil die Fähre in Bari erst am anderen Abend ausläuft. Ein Stadtbummel in Florenz weckt die Lebensgeister. In keiner anderen Stadt zuvor habe ich so viele schöne Frauen in so vielen schönen Pelzen gesehen. Soga ein Pater, der an den Juweliergeschäften auf dem Pomte Veccio – der berühmten Arnobrücke – entlangspaziert, dreht sich um und freut sich des überschäumenden Leben.

In Perugia lehnt es ein Hoteldirektor ab, daß wir den Polo persönlich in die Garage fahren. Dafür habe man in Italien Personal. Mag sein, daß wir zu mißtrauisch sind – aber wir fahren lieber ein paar Kilometer weiter und übernachten ein einem brandneuen Motel in Assisi. Spät abends beim Rotwein erzählt uns der Wirt, der seine Ausbildung in der Schweizer Hotellerie vervollständigte, daß er hier sein Geschäft buchstäblich mit dem lieben Gott mache: Der heilige Franz von Assisi zieht noch heute Tausende von Pilgern an. Und so kann der Wirt Nach für Nacht seine nun 80 Betten für jeweils 36 Mark vermieten.

Einen optisch reizvollen Morgen lang fotografiert Peter in den Klostergermäuern von Assisi. Dann packt mich wieder der Fahrer-Ehrgeiz, denn auch ein langer Tag muß ja nicht verbummelt werden. Doch so schnell geht’s auch wieder nicht

Wir wollen über klitzekleine Landstraßen, die in unseren Karten lediglich als dünne Striche eingezeichnet sind, über den schneebedeckten Abruzzen fahre. Nach 55 Kilometer müssen wir wenden – ein Erdrutsch hat die Straße einfach beiseite geschoben.

Das kostet Zeit und uunötige Mehrkilometer. Also müssen wir wieder eine direktere Strecke suchen und abkürzen. Gegen Abend sind wir in Bari und zuckeln 50 Kilometer lang kreuz und quer durch die lebhafte Hafenstadt, um endlich ein Zimmer zu bekommen. Erst am nächsten Tag um 13 Uhr laufedie Fähre aus, sagt uns der Agent. Die telefonisch von unterwegs eingeholte Auskunft erweist sich als falsch. Wieder müssen wir neue Kurse und Kilometer erreichnen.

Am anderen Morgen Zeitvertreib in Bari: Ein paar Meter von unserem Polo entfernt haben Diebe in der Nacht an einem Innocenti alle vier Rader gestohlen und die Karosserie einfach auf den Boden gesetzt. Wir konnten ruhig schlafen, denn der Foto parkte – wie schon in Delmenhorst und in Nizza – direkt vor der Hoteleingangstür.

Auf dem Markt verkaufen fixe, schreiende Südländer nahezu alles – von der riesigen, rosa Unterhose bis zum Plastikteller. Alte, nicht einmal gesäuberte Ölbüchsen kosten 100 Lire pro Stück. Irgend jemand hat ihnen einen Schlitz einverleibt und einen neuen Deckel aufgeötet; die Sparbüchsen des kleinen Mannes.

Im Hafen von Bart essen wir ein paar Krusten. und Schalentiere. Aber von den wunderbar preiswerten Radios dar Schwarzhändle lassen wir die Finger.

 

7. Etappe
Bari-Sofia: 882 km
Fahrschnitt: 60,17 km/h
Reiseschnitt: 54,56 km/h

Nachts als die Kurve kam.

Dar letzte Tag in Italien beginnt mit dolce far niente. Nachdem insgesamt fünf Uniformträger kontrolliert haben, ob wir auch berechtigt seien die „Tiziani“ in der Linie Manritime del Adriatico S.B.A. zu betreten und der letzte uns die Pässe abnahm, können wir uns in unsere gefütterten knallgelben Pannenfahrer-Jacken hüllen und die Nachmittagssonne auf dem Oberdeck genießen. Nach Angaben der Reederei braucht die Fähre etwa sieben Stunden bis nach Jugoslawien. Mitten läßt sich friedlich ruhen. Doch die Strafe fürs Faulenzen folgt: Das Restaurant ist bis zum Abenddinnner geschlossen – und in der Bar gibt´s nur trockener Fertigkuchen und schwarzen Kaffee.

Unter Deck ist´s kaum auszuhalten – dicker Tabaksqualm treibt ein paar Kleinkinder an Bord zu Schreikrämpfen. Sobald die Sonne ins Meer gefallen ist, macht stumpfe Nacht as Leben auf dem schlingernden Schiff zerrmürbend. Um 19 Uhr drängen sich etwa 200 Fahrgäste vor dem Eingang zum Restaurant – drinnen sitzen die Angestellten und genießen ihre tariflich abgesicherte Pause. Von 19 bis 1930 Uhr ist der Speisesaal geöffnet – ein ganzes Schiff muß abgfüttert werden, ehe die Jugoslawen von einem Lotsenschiff aus an Bord gehen.

Die Ausschiffung verzogen sich in eine Stunde. Der Beamte aus Dubrovnik, der die Pässe prüft, tut dies gründlich. Gegen 21 Uhr, nach einer Stunde Liegezeit im Hafen, dürfen wir endlich von Bord. Freundliche Zöllner fragen nach Waren. Daß wir Ersatzteile mitführen und auch deklarieren wollen, stört sie nicht. Wer hier ohne Ersatzteile fährt, scheinen sie zu denken, ist selbst schuld.

Der Achtstundentag voller Gammelei auf dem Schiff hat mich ans dem Trab gebracht. Aber was auf der Küstenstraße von Dubrovnik nach Kotor passiert, nimmt mir noch mehr den Nerv. Hätte ich nicht den unbestechlichen Tachographen als Kontrolleur, müßte ich denken, ich sei wirklich im Schneckentempo gezuckelt. Hinterher kann ich nachrechnen: In 190 Minuten ohne Halt 198 Kilometer, immer dicht entlang der Adria, Kurve an Kurve. Das macht einen Schnitt von mehr als 62 km/h. Und dennoch sind etliche Jugoslawen mit deutlichem Überschuß an mir vorbeigedonnert. Für mich gibt’s nur eine Erklärung: So entstehen die Locher in den häufig nur aus Felsbrocken bestehenden Leiteeinrichtungen, die letztes Hindernis vor einem tiefen Sturz ins Meer sein sollen. Zerfetzte Karosserien, ageknickte Leitplanken und entwurzelte Baume sind die stummen Zeugen eines dramatischen Steckenabschnitts.

Gegen 23 Uhr kommt Glatteis auf. Zwischen Kotor und Titograd, auf einer ansteigenden Bergstrecke wär´s beinahe passiert. Eine scharfe Rechtskurve, ein wenig zu spät gesehen und dann noch ein wenig zu knapp eingeschätzt. Jetzt rutscht der Wagen über das linke Vorderrad nach außen. Ein riesiger Felsen zittert im Scheinwerfer. Bremsen ist sinnlos. Und doch trete ich aufs Pedal. Da schießt mir durch den Kopf, was im Sicherheitstraining immer wieder gepaukt wird und was ich auf der Übungspiste so souverän vormachen kann, weeil dort ja kine Gefahr ist: Runter von der Bremse mit dem Haxen, geradeuas die Lenkung, dann voll drauf und wieder los – und dann die Nerven behalten und voll nach rechts.

Am Ende dar Kurve wissen wir, daß wir in dieser Nacht nicht mehr weiterfahren. Unbekannte bergige Gegend und dann noch Glatteis und das nach Mitternacht. Wozu eigentlich? Nur, um wirklich einen programmierten Tagesrhythmus einzuhalten?

Wir steuern das erste Hotel am Platze an – eine touristische Attraktion ohnegleichen. 35 Mark, einschließliech Frühstück, kostet das Zimmer mit Bad. Doch das Bad gleicht einer auf Spezialitäten eingefuchsten Kleintierhandlung. Die nacke, Birne an der Decke erschreckt ein paar Dutzend Asseln, und Kakerlaken, die sich unter die schwarzgestrichene Badewannenverkleidung verkriechen. Quer durch der Raum läuft ein Bach – an der Wand ist ein Rohr geplatzt. Warmes Wasser gibt es nicht. Die Glasablage vor dem Spiegel hängt an einer Schraube, und ein daumendicker Holzdübel zeugt davon, daß Kunststoff hierzulande Seltenheitswert hat. Die warmen dampfnudelartigen Brötchen und die eingetrocknete Marmelade am anderen Morgen, mürrisches, zeterndes und er allem nicht zuständiges Personal fördern nicht gerade die Kondition für einen anstrengenden Tag.

Die bis zu1700 Meter hohen Berge im Jadovnik Gebirge östlich von Sarajevo, die wir über kleine, zum Teil unbefestigte Straßen anfahren, sind tief verschneit. Auf den Straßen liegt angetautes Eis. Hier oben entspringt die Drina, die in die Sava mündet. Nächstes Ziel ist Titove Uzice. Langsam schnurrt der Polo, selten scheller als 50-60km/h, die Bergstraßen hinauf und die Serpentinen hinunter. Kein Kummer mit der Bremsen – eher mit den Maultieren, Eseln und Pferden auf der Straße.

Wieder ein Erdrutsch. Schwere Lastwagen malmen nieder, was Planierraupen nicht geräumt haben. Dann wird der Verkehr freigegeben. Wer hier steckenbleibt, behindert ein paar Dutzend Autos, die ebenfalls diese Nebenroute wählen. Der Frontantrieb gibt mir Sicherheit beim Fahren, und sobald der Polo wieder festen Boden unter den Füßen hat, gebe ich ihm die Sporen. Anstrengend ist nur das ewige Rätselraten: Was wird wohl hinter der nächsten Kurve sein: freie Fahrt oder ein liegengebliebener Lastwagen – eine schlechte Straße oder eine Gruppe an Viehtreiben mit ihrer Herde?

Ein ständiges Rauf und Runter, viele Passe – Bremsen, Gas geben und wieder runter bis auf 15, 20 km/h. Neben der Straße bauen die Jugoslawen eine Eisenbahn. Wer diese Stecke mit dem Auto fahrt, weiß, wie notwendig die Schienenverbindung ist.

Unterwegs geht uns das Benzin aus. Beim Nachtanken aus dem Kanister überholt uns ein alter Mann mit seinem Pferd. Man konnte den Opa auf gute 70 schätzen – er läuft neben seinem Gaul her, um zwei Säcke mit Birnen zu verkaufen. Er schenkt uns ein paar Pfund und wir revanchieren uns mit einer Schachtel Zigaretten.

In Cicevac kommt endlich die Autobahn Belgrad – Sofia, die wir bis Nis benützen können. Dann folgt eine noch nicht ausgebaute Straße entlang des Nissavatals bis zur Grenze nach Dimilovgrad und weiter nach Sofia.

Hier mußte eigentlich ein Schild stehen. Schnellbahn zur Hölle, Umleitung wird dringend empfohlen. Unzählige Lastzüge, die alles, was auch nur auf einen Brummi geht, in den Orient karren, haben von der Europastraße nur noch in Waschbrett übrig gelassen.

Das und der irre Verkehr, der ein Uberholen kaum mehr zuläßt, drückt den Schnitt. Immer wieder ein paar Kilometer Schnee oder Eis. Ach wie wünschen wir uns ein Zehntel des Streusalzes herbei das bei uns buchstäblich verschleudert wird.

Weil nicht geraumt, sondern weggeweht oder weggefahren wird, bilden sich gefrorene Geleise auf der Straße: Höhenunterschiede bis zu 10 Zentimeter.

Und die wuchtigen Brummer dokumentieren ihre Stärke. Sie überholen den mit 70 fahrenden Polo. Kaum sind sie vorbei, versetzen sie nach rechts. Mensch, brems – oder fahr halt in den Graben, eine andere Chance hast Du hier nicht. Alle paar Minuten liegt ein Lastzuggerippe neben der Fahrbahn. Verbogen, ausgebrannt oder einfach zermalmt.

Ein 60-Minuten-Zwangs-Aufenthalt an der Grenze nach Bulgarien bringt Abwechslung. Ein Hanauer Spediteur schenkt dem bulgarischen Grenzbeamten eine hellgrüne Dose Kalderma-Gelee. Behutsam schraubt dieser den Decke ab und riecht am Inhalt. Vorsichtig lüftet er das Stanniolpapier und streicht es wieder eben. Vom hervorquillenden Rest reibt er sich seine Hände ein – und unsere Pässe haben einen gar nicht so amtlichen Stempel.

Diese Grenze ist auf kommerziellen Massentorismus eingestellt. Geld wird zwangsweise gewechselt die Visagebühren werden gleich einbehalten. Irgend was ist anders an diesem Schlagbaum. Erst weit im Landesinnere fällt es mir auf. Ich habe noch keinen Menschen gesehen, der nicht eine Uniform trug – von den Toristen mal abgesehen. Dafur stehen in jedem Dorf die knallgelben Autos der TAK (Verkehrspolizei), viele von ihnen mit kleinen Radarinstrumenten, einige auch zivil.

Es ist schon 20 Uhr, als wir in Sofia ein Quartier suchen – spiegelglatte Straßen signalisieren allgemeinen Feierabend. Lastzugfaher haben´s einfacher. Sie parken irgendwo am Rande der Fahrbahn.

Im Restaurant des Grandhotels Sofia verschönen uns eine achtkopfige Kapelle und ein paar Solisten das schnell heruntergedrückte, aber leckere Abendbrot. Ein paar Stunden Schlaf, zuvor aber noch gnadenlos eine halbe Stunde Fahrten-Buchhaltung, sind uns wichtiger.

Denn die 8. Etappe muß uns nach Istambul und wieder mindestens zurück bis hierher bringen. Das heißt: Abfahrt zur Frühschicht gegen 6 Uhr…
8.Etappe
Sofia-Istanbul-Nis: 1336 km,
Fahrschnitt: 62,14 km/h
Reiseschnitt. 49,18 km/h

Die „E 5“ und ihre Tücken.

Was tut der deutsche Autofahrer, wenn er ein Schild sieht „Radarski kontrolska“? Schuldgefühle hin oder her, er tut erst mal langsam. Aber wenn er solche Schilder in jeder bulgarischen Ortschaft entdeckt? Richtig – irgendwo mag´s ihn vielleicht mal doch erwischen. Mich hat´s am Ende einer Kleinstadt erwischt; ich wollte gerade einen Wagen mit englischem Kennzeichen überholen. Da zuckte die Kelle am Armel einer olivbraunen Uniform herunter und der TAK-Polizist behauptete kühn: „Du zahlen, ich Radarski kontrolska, Du 90.“

Ich deutete auf den Tachographen und sagte, „Ich nix 90, höchstens 60, Verzeihung.“

Auch der Engländer protestiert, denn wir waren wirklich nur 60 km/h gefahren. Doch der TAK-Mann blieb hart. Als mir klar wird, daß er umgerechnet nur 10 Mark wollte drücke ich ihm die letzten bulgarischen Levas in die Hand und fahre weiter.

Im nächsten Dorf schon wieder eine Kontrolle. Und wieder seien wir zu schnell gefahren. Da wird unser Protest härter. Ich öffne den Tachograph – es waren nur 40. Dann will der Polizist unsere Pässe und Führerscheine sehen. Sorgsam inspiziert er den Wagen und liest die Aufschriften. Plötzlich sagt er „Du deutsch, gut. Beckenbauer, Müller. Auf Wiedersehen.“ Wenn das dar Kaiser Franz wüßte…

Etwa 60 Kilometer vor der türkischen Grenze kann ich wieder bis zu 120 km/h schnell fahren. Das Wetter wird besser, wir nutzen es aus, daß die Lastzugfahrer Mittagspause machen.

Abdullah Kiran aus Topkapi, Istanbul, der seinen überlangen Volvo in 23 Tagen von Istambul nach Amsterdam und wieder zuruckgebracht hat, macht vor der Grenze halt und schlägt sich ein paar Eier in die Pfanne, die er auf einem Gaskocher erhitzt. Und was transportiert er? Frostschutzmittel – einen ganzen Lastzug voll.

An der türkisch-bulgarischen Grenze herrscht ein mildes Chaos. Keiner weiß Bescheid und niemand hat eigentlich etwas zu tun. Ein kleiner Junge nimmt uns schließlich die Passe ab und füllt irgendein Papier aus. Dafür verlangt er von uns Geld.

Hier scheint Bulgarien im endlosen Schlamm in die Turkei überzugehen. Ein bulgarischer Zöllner klopft mit einem westdeutschen Markenschraubenzieher das Polodach nach verstecktem Schmuggelgut ab. Zwei türkische Zöllner untersuchen den langen Konvoi. Mindestens 70 Lastzuge warten auf ihre Abfertigung. Am Brenner hätte es langst Krawall gegeben – aber hier wagt keiner, sich mit der Obrigkeit anzulegen. Er will, er muß weiter. Und dafür nimmt er sogar lange Wartezeiten in Kauf.

Der Mercedes vor uns gehört offensichtlich einem Geschäftsmann. Allerlei Importe vom Vogelkäfig bis zum Kinderwagen, vom Tauchsieder bis zu mehreren Dutzend im ganzen Auto versteckten und verteilten Playboy und Metropolitan-Heften gedenkt der Türke einzuführen. Aber die Handelsware interessiert den Zöllner nicht. Eine halbe Stunde lang blättert er die heißen Heftchen durch und klappt die Folder aus. Erst als ihm der Kaufmann eines der Magazine schenkt und er rüfend noch einmal das nackte Mittelseitenmädchen aufschlägt, hebt er den Schlagbaum.

Dann hat der Zöllner nichts Wichtigeres zu tun, als den Edelporno, Tabakreklame nach vorn, in einem Kasten zu verstecken und seine etwas verwirrte Aufmerksamkeit auf unser Begehr zu lenken. Geschärften Blickes schickt er uns zurück zu den Bulgaren – er vermißt einen Ausreisestempel in unseren Pässen.

Die letzten 100 Kilometer vor Istambul werden zu gefährlichsten Teil der Reportage. Gnadenlos drücken sich blendende Lastzüge zwischen den paar Personenwagen durch. Wo noch nicht einmal ein leichtsinniger PKW-Fahrer überholen würde, ziehen die riesigen Tanker und Containerzüge an einem vorbei.

In einem Land, in dem Pannendreiecke noch mit Rüben unterstützt werden, weil sie nicht von alleine stehen bleiben, darf man sich über mangelnde Verkehrsdisziplin nicht wundern. Und wer diese rasenden Dinosaurier sieht, versteht zumindest nachträglich auch die Bulgaren und ihre strengen Verkehrskontrollen. Vor so was muß man sich einfach schützen.

Vor uns ein Unfall. Jetzt hat ein Lastzug ein Türkenauto gerammt. Was bei uns wegen der herumliegenden Verletzten zum sofortigen Stillstand des Verkehrs führen würde, kümmert hier niemanden. Mann fährt drum herum – und dies möglichst schnell.

Istambul nimmt uns auf. Eine Stadt voller Leben und eigenartigem Charme – auch für den ausgemergelten Autofahrer voller Reize. Wir warten drei Stunden auf eine Telefonleitung nach Deutschland. Gegen vier Uhr morgens klappt die Verbindung und weckt mich. Dann beginnt der Lärm. Um sechs Uhr sind wir auf den Beinen – heute Abend wollen wir wieder hinter Sofia sein.

Hier am östlichsten Punkt des Test-Trips reizt die Bosporusbrücke. Doch dorthin zu finden ist ziemlich schwer. Die neue Straße nach Ankara verliert sich mitten in Istanbul in einer Baustelle.

16 Kassenfurten sahnen ab – doch die Überfahrt nach Asien ist billig und kostet nur 1,50 Mark. Maschinenpistolenbewaffnete Polizisten bewachen das neue Wahrzeichen der Stadt.

Auf der Brücke am Goldenen Horn kaufen wir einem fliegenden Orangenhändler den Reiseproviant für die nächsten Tage ab. Er macht in Mordsgezeder, weil er die Waage nicht so lange hochhalten will, wie Peter braucht, um ihn farbig und schwarz-weiß abzulichten.

Ein türkischer Taxifahrer vertritt nachhaltig die Auffassung, es sei besser für uns, wenn wir mit ihm in seinem 20 Jahre allen Chevrolet durch Istambul führen. Wir lehnen dankend ab – die Reifen sind aalglatt, an den hinteren schaut die Leinwand heraus.

Ein Türke weist uns den Weg. Er bedankt sich für die Revalschachtel überschwenglich: „Gut Kamerad, ich habe schon acht Monate lang nicht mehr diese Zigarettensorte geraucht“. Das heißt im Klartext: Er war als Gastarbeiter bei uns und mußte wieder zurück. Wir sollen ihm ehrlich sagen, ob’s bald wieder einen Aufschwung gibt.

Schneller als wir erwarten sind wir wieder an der Grenze in Edirne. Und auch die Rückreise durch Bulgarien verläuft fast ohne Kontrollen. Eine Radartruppe spielt das beliebte Pannenspiel und hat ihr Gerät hinter einem parkenden Auto versteckt. Die müssen wohl deutsche Zeitungen gelesen haben.

Jetzt kommen los wieder ganze Konvois von zwei- oder dreistöckigen Lastwagen entgegen, einer huckepack auf dem andern.
Übermüdete Fahrer pennen am Rande der Straße in ihren Autos. Gastarbeiterautos, hoffnungslos überladen, wanken uns entgegen. Wenn das nur gutgeht.

Unterwegs treffen wir einen bulgarischen Landwirt, der an einem Brunnen seinen Schlepper putzt, als wolle er ihn im Kombinat zur Schau stellen. Wir bitten um seinen Schlauch, dann der Polo ist weder mal starr vor Schmutz und läßt sich nicht mehr fotografieren. Im Gegengeschäft schenken wir ihm unsere fast nagelneue Waschbürste – er freut sich riesig.

Ein paar Dutzend Kilometer vor Sofia fällt schlagartig Nebel ein. Manchesmal ist die Sicht gleich Null, und auf einer Ausfallstraße in Sofia erleben wir den uralten Fernfahrerwitz im Original: Vor uns fährt seit geraumer Zeit ein französischer Sattelzug als sicherer Lotse. Jetzt muß der Fahrer aussteigen und zu Fuß an den Wegzeiger gehen, denn vom Auto aus kann er ihn nicht entziffern.

Die Nadel unseres Fahrtenschreibers zeigt keine Geschwindigkeit mehr an – wir fahren weniger als 20 km/h, wie sich hinterher herausstellt. Und das volle drei Stunden lang. Dann gibt der Franzose auf. Ein Belgier überholt uns und traut sich gute 30 km/h zu. Wir hängen uns an bis nach Nis. Dort fragen wir einen kontrollierenden Verkehrspolizisten. Doch seine Auskunft, der Nebel höre hier auf, in Richtung Belgrad sei die Straße wieder frei, erweist sich als falsch. Wir brechen gegen 23 Uhr die Fahrt ab, kehren um und übernachten in Nis.

Im Hotelzimmer tippe ich die Tageszahlen in den Taschenrechner. Obwohl es schneller ging, liegt der reine Fahrschnitt wieder bei etwa 62 km/h und der Reiseschnitt ist, bedingt durch den Nebel, auf unter 50 gesunken Wenn´s gut läuft, könnten wir morgen nachmittag irgend ein ungarisches Gestüt fotografieren, träume ich der neunten Etappe entgegen.
9. Etappe
Nis-Wien: 916 km.
Fahrschnitt: 73,31 km/h
Reiseschnitt: 55,24 km/h

Erlaubt ist, was gefällt.

Ein Morgen, fast wie zu Hause. Überfüllte Omnibusse schaffen die Menschen zur Arbeit. Aber dieses Nis gibt sich doch ein wenig anders. Es fehlt der Rush-hour-Schub im Autoverkehr. Wir sehen mehr Fußgänger als bei uns. Langsam nimmt dar kaltgefrorene Motor – es waren rund 10 Grad unter Null heute nacht – Gas an. Groß wie in Apfelsinenschlitz leuchtet die Choke-Kontrolle auf. Die erste Schicht hinterm Steuer trifft fast immer auf Peter. Wenn dann der Tag langsam aufwacht, will er sich nicht mehr so sehr auf die Fahrbahn konzentrieren – seine Augen suchen Motive. Dann bin ich wieder dran. So kann ich oft noch morgens im Auto eine bis zwei Stunden ruhig vor mich hindösen.

Die Fahrt zur ungarischen Grenze wird zum Langeweile-Trip. Ein öffentlicher Bus hängt uns im Nacken. Peter fährt korrekt 100, mehr ist nicht erlaubt. Dennoch drückt der Bus an uns vorbei. Wir verfolgen ihn über etwa 50 Kilometer. Unsere Tachoscheibe zeigt Spitzenwerte bis zu 120 km/h. Auch in den Stadten braust der Bus voll durch. Wir müssen ihn buchstäblich davonfahren lassen. Ich diktiere meine Reiseeindrücke ins Cassettentonbandgerät.

Da entdecken wir plötzlich links an der Straße inmiten des tristen Graus drei pastellfarbene Häuser. Hier haben wir das Polo-Bild aus Jugoslawien. Gelb vor bunten Häusern – wenn das nichts hergibt? Peter hat andere Ansichten, aber wir machen das Foto. Ich fahre ein paarmal vor den Häusern auf und ab. 30 km/h genügen um etwas Bewegung ins Bild zu bringen.

Ohne Halt steuern wir nun der ungarischen Grenze zu. Dort begrüßen uns freundliche Beamte und wünschen uns gute Reise. Der Grenzaufenthalt dauert, obwohl wir keine Visa haben und diese erst geschrieben werden müssen, nur 25 Minuten.

Wir fahren durch bis Budapest und machen dort eine 45-Minuten-Pause Der Oberkellner meint, es sie besser für uns, wann wir hier blieben – er kenne da auch etliche reizende junge Mädchen. Schlag 20 Uhr fahren wir über die Autobahn an den Balaton und von dort zur österreichischen Grenze. Die Straßen sind frei, erleichtert atmen wir auf. Um 23 Uhr passieren wir die ungarisch-österreichischen Grenze.

Die Geldwechslerin hat einen heißen Hoteltip. Aber der preiswerte Bauerngasthof (wir freuen uns schon auf das Frühstück am anderen Morgen) macht nicht mehr auf, als wir gegen 23.30 Uhr anklopfen.

Wien bleibt letzte Zuflucht, und ehe der Polizist uns den Weg zum Hotel Interconti zeigt, müssen wir ihm ganz ausführlich erklären, was es eigentlich mit dem Polo auf sich hat.

Er wolle sich einen Polo kaufen und er hätt´ halt, bitteschön, zu gern von uns vorher gehört, ob es da nicht irgendeine Schwachstelle gäbe. Wir bedauern außerordentlich, damit nicht dienen zu können. Verehrung, Herr Wachtmeister, Sie können ruhig Ihre Bestellung aufgeben.
10. Etappe
Wien-Stuttgart: 710 km.
Fahrschnitt: 76,75 km/h
Reiseschnitt: 53,58 km/h

Es geht heimwärts.

Was der Mannschaft recht ist, muß dem Auto billig sein. Ein gründliches Bad tut not, und in der Hotelgarage wird der Polo geeinigt. An soan´ Wagen hätt er seiner Lebtag nicht gesehn, meint der Tankwart. Sein Trinkgeld hat er hart verdienen mussen.

Bis auf etwa 100 Kilometer genau wird heute abend in Stuttgart die Reise zu Erde sein.

Jetzt kann eigentlich kaum mehr was schiefgehen. Und Zeit haben wir obendrein noch genügend. Wir fahren zur Wienzeile und bummeln über den Naschmarkt, kaufen einen Fasan und das notwendige Gewürz dazu, Kren und Sauerkaut es dem Holzfaß, ein paar dicke Forchenzweige: Es weihnachtet sehr, die Menschen sind friedlich. Ein Schupo trägt zwei silberne „English“ und „Francais“ auf seiner stolzgeschwellten Brust. In seinem Rayon ist er der König – die Touristen kommen zu ihm, denn er kann fließend in zwei Fremdsprachen antworten.

Wir nähern uns mit Richtgschwindigkeit – ein Vergnügen mit dem Polo – der deutschen Grenze. Keiner behelligt das Auto. Vor München gibt´s wieder Glatteis und auf der Schwäbischen Alb haben wir wieder dichten Nebel.

Mit Stadtgeschwindigkeit zuckeln wir der schwäbischen Landeshauptstadt Stuttgart zu. Um 23.10 Uhr stelle ich den Polo in meine Garage. Ausgepackt und ausgerechnet wird morgen früh…

Damit kann man rechnen.

Die Verbrauchsrechnung bringt noch eine Überraschung: Auf 10220 Kilometern (von der ersten bis zur letzten Tankstelle) schluckte der Polo 861,51 Liter Benzin – das sind 8,42 Liter auf 100 Kilometer. Wir haben dafür einschließlich aller Währungsumrechnungen 770,92 DM bezahlt. Der Ölverbrauch lag bei 2,5 Litern auf 10000 km, Kostenpunkt 17,50 DM.

100 Kilometer dieses Abenteuers waren also umgerechnet für 7 Mark und 71 Pfennig zu haben – und das für zwei Personen mit großem Gepäck.

Wie war´s denn abends? Manchmal dachten wir, auf einem leicht schwankenden Schiff zu sein, bis der Körper wieder zur Ruhe kam. Wir waren rund 180 Stunden im Auto, davon mehr als 140 ständig in Fahrt. Einschließlich aller Zwangsaufenthalte, Fotostops, Tankpausen, Grenzkontrollen – aber ohne die Überfahrt von Italien nach Jugoslawien, wohl aber eingeschlossen die beiden Fahrfahrten nach Dänemark, bleiben also nur rund 40 Stunden in zehn Etappen, da wir nicht aufs Gas traten konnten.

Um genau zu sein: Für 10 131 Kilometer, so ergibt es hinterher die Lupenauswertung der Fahrtschreiberblätter, haben wir 8601 Minuten reiner Fahrzeit gebraucht und 10805 Minuten Gesamtzeit.

Nach der Formel (Wegstrecke in km x 60) / Zeit errechnet sich hieraus ein Fahrschnitt von guten 70 km/h und ein Reiseschnitt von etwa 56 km/h. Ich meine, daß dies die Formel ist, die beantwortet, ob man sich einem solchen Auto anvertrauen kann.

Die dem Bericht genannten Zeit- und Zahlenwerte sind den Tachographenscheiben entnommen.